Zu diesem Bild

Du denkst wohl, du verstehst mein abgezehrtes Ich,
Des Fremden kalter Blick, Voyeur und Menschenkenner,
Und liest wie ein Roman mein trauriges Gesicht –
Das Fach Psychologie ist jedermann Domäne.

Du siehst in mir den Hohn und eine stolze Frau,
Noch jung, doch zu enttäuscht, um noch einmal zu lieben,
Verbittert und vergrämt stellt sie sich hier zur Schau,
Aus ihrem Paradies der Hoffnungen vertrieben.

Du glaubst, mich zu durchschau`n, die Eitelkeit erkannt,
Bemalte Schulter als ein Zeichen dieser deutend.
Und unterschätzt vielleicht des Künstlers weise Hand,
Die meinen tiefen Schmerz dir offenbaren scheute.

20.10.2016

Odaliskenträume

Odaliske1

„Odaliske“; Bild von Lilija Grieger

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Der Mond ist jung und dunkel ist die Nacht –
Sie duftet nach Jasmin und Tamarisken.
Der Harem schläft. Zurück in ihr Gemach,
Träumt von der Liebe eine Odaliske.

Das Augenlicht des Sultans streifte sie,
Als sie mit Myrte seine Füße ölte,
Und weckte ihre kühne Phantasie:
Vielleicht wird sie heut‘ Nacht die Auserwählte

Und darf dem Schah bis in das Morgengrau‘n
Mit ihren sanften Liebeskünsten dienen!
Für kurze Zeit geliebte Konkubine,
Danach die Sklavin seiner heiklen Frau‘n.

Und irgendwann – O, gnädig sei Allah! –
Vergisst sie ihre unerfüllten Träume
Und alles, was sie liebte und versäumte:
So trügerisch und schön, dem Himmel nah.

2015