Die Eitelkeit der Sinne

Wie eine träge Katze auf der Lauer,
Liegt der Oktober wartend vor der Tür.
Der alte Park, so feierlich und traurig,
Übt mit den Blättern eine Abschiedskür.
 
Mit seinem kreischenden „Hasta la vista“
Verlässt das Bild ein Vogel-Vagabund,
Und würdig eines Expressionisten
Erhellt das kühle Blau den Hintergrund.
 
Ein Windeshauch berührt die bunten Kronen,
Die Farbenpracht – das reine Plagiat:
Fauvistisch-provozierend grelle Töne
Auf eine unverwechselbare Art.
 
Bekanntlich ist die Kunst eine Domäne,
Doch ich behaupte mal, dass jedermann,
Der diesen Ahorn mit der roten Mähne
Nur einmal sah, ein Maler werden kann.
 
Die Luft ist klar, die ganze Welt hält inne
Als hätte sie zum Wachsein keine Lust.
Die überspitzte Eitelkeit der Sinne
Wird mir in diesem Augenblick bewusst.
 
Wie unterschätzt und manchmal als unwichtig
Und trivial und öde abgetan,
Empfinden wir das Einfache und Schlichte,
Die Zeit mit Unbeständigem vertan.
 
Wir lechzen nach dem Duft der fremden Wälder,
Bewundern Meere und den Wüstensand,
Und aus der nächsten Nähe Marcs Gelände
Bleibt dilettantisch-unverdient verkannt.
 
Wir suchen außerhalb nach neuen Reizen.
Die Gier nach mehr – rein menschliches Delikt!
Und merken nicht, dass Scharm allein und einzig
In wachen Augen des Betrachters liegt.
 
Borbeck, 14.10.2016
(Bild von Lilija Grieger)