Eine kleine Nachtmusik

Leseprobe:

„….. Ihr war schon klar, dass ein Leben mit so einem Mann für sie nicht in Frage kommen würde. Wo ist sie – und wo er. Aber irgendwie fühlte sie sich seinem Leben zugehörig. Ob sie vielleicht auch das Gen dieser ausgestorbenen Rasse besaß? Wohl kaum. Das positive Ergebnis ihrer ersten Begegnung mit der großen Kunst war, dass zu ihren toten Freunden aus der Musikszene ein lebender dazu kam. Und das war schon ein großer Fortschritt: Die Wahrscheinlichkeit einer Beziehung mit jemanden, der noch lebt, war um einiges höher. Jetzt hatten ihre Träume feste Umrisse. Sie sah sich in der ersten Reihe in jedem seiner Konzerte. Sie stellte sich vor, dass er sie endlich mal unter den Zuhörern bemerkt, nach dem Konzert anspricht und in ein gemütliches Café einlädt. Später fand sie sich bei ihm zu Hause, im dunklen Zimmer auf dem Teppich mit geschlossenen Augen, wobei er an einem weißen Flügel sitzt und für sie Mozarts Klavierkonzert Nr. 21, ihr allerliebstes Musikstück spielt. Sie hört die wehmütigen Klänge des Andantes, sie muss weinen, geht auf den Spielenden zu, lehnt sich an seinen Rücken und… Danach folgt eine der so oft gedachten Varianten der erotischen Szenen, die sie verlegen aus dem Kopf verdrängt, um schneller zu Ihrer Lieblingsepisode zu kommen: sie in Weiß und mit Blumen, er in einem schwarzen Frack und der Pfarrer, der sie traut, heimlich, ohne Zeugen und ohne Gäste. In der Kirche ist es halbdunkel. Leise Orgelmusik füllt den Raum. Sie ist glücklich. Sie nennt ihn laut und italienisch-expressiv – Vittorio… und der Klang ihrer eigenen Stimme bringt sie wieder zurück in das nach altem Bratfett stinkende Zimmer der Großtante, die sie mit Erstaunen ansieht. Auf dem Tisch steht ein Teller mit Bohnensuppe. Sie ist schon kalt geworden und deswegen schwimmt auf der flüssigen Oberfläche, zwischen den angebratenen Zwiebeln, Grieben und Kartoffelwürfeln eine dicke Fettschicht. Melina muss sich übergeben.

Die Großtante war langsam besorgt: Das Mädel verschwindet immer wieder stundelang aus dem Haus, redet kaum noch mit ihr, träumt nur vor sich hin und jetzt das noch. O Gott! Sie hätte die Verantwortung auf sich nicht nehmen sollen. Hoffentlich ist die Göre nicht schwanger!

Aber die Sorgen der alten Frau waren unbegründet. Es gab nur ein Konzert des charismatischen Pianisten in dieser Stadt und durch das viele Träumen ist noch kein einziges Mädel in der Welt schwanger geworden. ….“

Vollständiger Text der Erzählung folge dem link: Eine kleine Nachtmusik