Per Anhalter durch das Leben

Per Anhalter durch das Leben
In einem sterblichen Körper.
Zeitlich begrenztes Streben,
Gebete, die keiner erhörte.
Hat es sich wirklich gelohnt,
Flüchtig vorbeizuschauen?
Anmut und Todesschauer
Haben mir innegewohnt.
Jede Geburt – ein Big Beng,
Lichter Weg der Photonen.
Nur ein Nocturne von Chopin
Ist schon eine Belohnung.

Die Gedanken einer Pianistin

Da sitzen sie, die Kenner und die Laien,
Bewerten, applaudieren und verzeihen
Mir kleine Fehler, falls sie welche merken,
Und wagen es, die genialen Werke
des großen Meisters und die Beichte dessen
An ihrem kläglichen Geschmack zu messen.

Wer seid ihr schon? Was wisst ihr von den Qualen
Der Schöpferkraft samt täglicher Rivalen,
Wie Zweifel und die Sehnsucht nach Entrücken,
Der Drang, in neuen Klängen auszudrücken
Das alte Streben nach Perfektion,
Die Wonne und das Leid. Wer seid ihr schon,

Ihr Kritiker und die allwissend Stolze?
Ward ihr mit seinem Tagestraum verschmolzen?
Habt ihr versucht die Seele auszurenken
Bis zu dem Schmerz in müden Handgelenken,
Am Trugbild hängend wie an einem Tropf?
In aller Ehrfurcht senke ich den Kopf,

Erlaube mir kein Urteil, nur Verständnis
Für Nacktheit der Gefühle, für Geständnis
Der menschlichen Verletzlichkeit, für Sieg
Und Scheitern und für das Gelingen
Der einzig wahren Liebe zur Musik,
Die nur für Eingeweihte sollte klingen.

Eintrag im Buch des Lebens

Wenn Gott ein Buch des Lebens führen sollte,
Was stünde dann in diesem über mich
Nach Abzug aller Zweifel und Revolten
Als aktuelles Fazit unterm Strich?

War pflichtbewusst und forsch in kleinen Dingen,
In Herzensangelegenheit kein As.
Sie konnte tanzen, mittelmäßig singen
Und schrieb Gedichte, die fast keiner las.

Es wäre schön, wenn auf der Seite stünde,
Für Petrus sichtbar auf den ersten Blick,
Zum Ausgleich meiner Schwächen und der Sünden:
Sie liebte Mozarts ewige Musik.

Die Musik schweigt

Weniger Glück als Verstand,
Leider nicht umgekehrt.
Dein blindes Herz hat verkannt
Meiner Liebe Wert.
Taub, hat es nicht gehört
Meiner Stimme Klang,
Vorsichtig, abgewehrt
Der durstigen Seele Drang,
Verglich im pragmatischen Test
Zweier Herzen Frequenz,
Sachlich stellte es fest
Die peinliche Differenz
In Form einer schlichten Vier –
Mein Urteil und Ungeschick.
Wie ein verstummtes Klavier
Schweigt in mir die Musik.

An den Musiker

1.
Ach wäre ich doch zwanzig Jahre jünger,
Naiv und frei von allerlei Bedenken,
Verliebt in deine virtuosen Finger,
Die so gekonnt eine Ekstase schenken
Der stöhnenden und weinenden Gitarre –
Der einzigen und willigen Geliebten.
Ich wäre fähig Tage auszuharren
Für eine Stunde im besagen siebten
Und unerreichten Himmel. Auf der Erde
Verbringe ich den Rest von meinem Leben
Aus schwacher Hoffnung und aus deren Scherben:
Es könnte auch für mich ein Comeback geben.

2.
Dein neues Lied, wenn auch nicht mir gewidmet,
Erzählt mir, was ich wieder glauben möchte,
Die eingefleischte Skepsis überwindend:
Es gibt sie doch, die schlaflos schönen Nächte
Mit den gereimten Worten auf den Lippen,
Mit einem Wunsch nach Nähe in den Augen
Und mit den Fingern, die auf meinen Rippen
Die Melodie der Leidenschaft erzeugen.

3.
Der Weg nach Hause führt durch dunkle Kälte.
Kontraste machen uns nicht immer glücklich.
„Hör auf zu träumen, dumme alte Krücke.
Er ist ein Gast aus parallelen Welten,
Zu jung, zu selbstverliebt, zu expressiv
Und höchstwahrscheinlich manisch-depressiv!“

16.01.2017

Im Konzert

An einem Ort wie dieser schweigt das Wort.
Hier ist Musik die throngeweihte Zarin.
Idealistisch in das Ziel verbohrt,
Das Gute in dem Menschen zu bewahren,

Ihn aufzuwecken, wenn sein Herz verstockt,
Den schlaffen Geist mit Klängen zu berühren,
Durch ihre treue Diener angelockt,
In eine Welt der Künste zu verführen.

An einem Ort wie dieser glaube ich,
Gewollt naiv, verzeihend und vergesslich:
Es gibt kein Leid und keinen Bösewicht,
Mit Absichten gewissenlos und hässlich.

Hier liebe ich die Menschen nur dafür,
dass sie sich in die Höhe treiben lassen
Und klopfen schüchtern an der Himmelstür,
das Göttliche imstande zu erfassen.

02.12.2016

Eine kleine Nachtmusik

Leseprobe:

„….. Ihr war schon klar, dass ein Leben mit so einem Mann für sie nicht in Frage kommen würde. Wo ist sie – und wo er. Aber irgendwie fühlte sie sich seinem Leben zugehörig. Ob sie vielleicht auch das Gen dieser ausgestorbenen Rasse besaß? Wohl kaum. Das positive Ergebnis ihrer ersten Begegnung mit der großen Kunst war, dass zu ihren toten Freunden aus der Musikszene ein lebender dazu kam. Und das war schon ein großer Fortschritt: Die Wahrscheinlichkeit einer Beziehung mit jemanden, der noch lebt, war um einiges höher. Jetzt hatten ihre Träume feste Umrisse. Sie sah sich in der ersten Reihe in jedem seiner Konzerte. Sie stellte sich vor, dass er sie endlich mal unter den Zuhörern bemerkt, nach dem Konzert anspricht und in ein gemütliches Café einlädt. Später fand sie sich bei ihm zu Hause, im dunklen Zimmer auf dem Teppich mit geschlossenen Augen, wobei er an einem weißen Flügel sitzt und für sie Mozarts Klavierkonzert Nr. 21, ihr allerliebstes Musikstück spielt. Sie hört die wehmütigen Klänge des Andantes, sie muss weinen, geht auf den Spielenden zu, lehnt sich an seinen Rücken und… Danach folgt eine der so oft gedachten Varianten der erotischen Szenen, die sie verlegen aus dem Kopf verdrängt, um schneller zu Ihrer Lieblingsepisode zu kommen: sie in Weiß und mit Blumen, er in einem schwarzen Frack und der Pfarrer, der sie traut, heimlich, ohne Zeugen und ohne Gäste. In der Kirche ist es halbdunkel. Leise Orgelmusik füllt den Raum. Sie ist glücklich. Sie nennt ihn laut und italienisch-expressiv – Vittorio… und der Klang ihrer eigenen Stimme bringt sie wieder zurück in das nach altem Bratfett stinkende Zimmer der Großtante, die sie mit Erstaunen ansieht. Auf dem Tisch steht ein Teller mit Bohnensuppe. Sie ist schon kalt geworden und deswegen schwimmt auf der flüssigen Oberfläche, zwischen den angebratenen Zwiebeln, Grieben und Kartoffelwürfeln eine dicke Fettschicht. Melina muss sich übergeben.

Die Großtante war langsam besorgt: Das Mädel verschwindet immer wieder stundelang aus dem Haus, redet kaum noch mit ihr, träumt nur vor sich hin und jetzt das noch. O Gott! Sie hätte die Verantwortung auf sich nicht nehmen sollen. Hoffentlich ist die Göre nicht schwanger!

Aber die Sorgen der alten Frau waren unbegründet. Es gab nur ein Konzert des charismatischen Pianisten in dieser Stadt und durch das viele Träumen ist noch kein einziges Mädel in der Welt schwanger geworden. ….“

Vollständiger Text der Erzählung folge dem link: Eine kleine Nachtmusik