Die Nacht (Fabel)

Der helle Tag, verrückt vor Sorge,
Erzählte seinem Bruder Morgen,
Dass ihre Schwester, dunkle Nacht,
Wird bloßgestellt und ausgelacht.
Statt still und brav zu sein – mitnichten! –
Liebt sie Musik und bunte Lichter,
Trink literweise Bier und Rum
Und treibt sich in den Kneipen rum.
Dann diese peinlichen Exzesse
Und sexuellen Interessen,
Die Clubs, das Tanzen und der Suff –
Sie bringt sich selber in Verruf.

Der gute Morgen sprach verdrießlich:
Ich sollte sauer sein, denn schließlich
Hat diese kleine Schlampe Nacht
Mich heute um den Schlaf gebracht.
Ich konnte es vorher nicht ahnen,
Sonst würde ich sie schon ermahnen.
Doch gestern war ich lange weg –
Hab‘ die Australier geweckt.
Mit Bruder Abend sollst du sprechen –
Er nimmt sie meistens mit zum Zechen!

Ein Lebemann und faule Socke
Der jüngste Bruder sagte trocken
Als er das hörte: Tut mir leid,
Für sowas hab‘ ich keine Zeit.
Private wichtige Termine
Und schöne junge Konkubinen
Erwarten mich. Und wisst ihr was?
Die Nacht ist jung und braucht den Spaß
Ich bin kein Hüter alter Sitten
Und kein verdammter Babysitter.
Lasst die Vergnügte wie sie ist
Und kümmert euch um euren Misst.

So ist es oft: Der Tag hat Sorgen,
Verschiebt sie auf den nächsten Morgen.
Der Abend windet sich subtil
Und nur die Nacht macht was sie will.

04.02.2017