Fazit

Das Überbleibsel meiner Jugendträume,
Mein abgeschwächtes eigentliches Ich,
Kehrt neuerdings des Öfteren in sich.
Das nicht Verwirklichte und das Versäumte
In meinem Kopf, pragmatisch aufgeräumten,
Zählt es mir auf als Fazit unter`m Strich.

Auf dieser Liste stehen viele Orte,
Von mir als Unerreichbar angeklagt,
Beziehungen, in welchen ich versagt,
Das beste Lied, das ich noch schreiben wollte,
Der wahren Liebe unverfälschte Worte,
Die ich noch nie und niemandem gesagt,

Und vieles mehr. Verdrängt, versteckt, verschoben,
Ersetzt durch Dinge, stehend über`m Strich,
Substantiell, notwendig, wesentlich
Für einen Weg nach vorne und nach oben.
Nur schade, dass bevor ich abgehoben,
Starb mein geschwächtes eigentliches Ich.

 

Wunschlos

Mir ist der Sinn des Lebens ausgegangen.
So geht das Licht aus ohne Energie.
Begeisterung, Neugierde und Verlangen –
Die altbewerte Daseinsstrategie
Der Selbstbetörung – sind nicht mehr vorhanden,
Der Geist befreit sich von der schweren Last
Des ewigen unproduktiven Denkens
Und statt sich mit Gefühlen auszurenken,
Genehmigt sich die Seele einen Rast.
Der Körper schläft wie eine satte Katze,
Die Wünsche weichen einer Amnesie.
Sarkastisch spricht des Spiegels freche Fratze:
„Na, müder Mensch, was bist du ohne sie?“

Die Schlange

Wie eine Schlange bin ich bereit
Mich wiederholt zu heuten.
Aus der verkrusteten Schale befreit,
Lande ich hier und heute.

Alles real, die Umgebung bekannt,
Trotzdem fühlt es sich falsch an.
Zwingt mich erneut der Betrüger-Verstand
Mit dieser Welt zu feilschen?

Was ist nun wichtig im folgenden Akt
Ohne die Pein der Pathetik?
Liebe, vergänglich, naiv und abstrakt,
Sex ohne Sinn für Ästhetik?

Wem gilt der Beifall, die wechselnde Gunst
Jener, hinter der Rampe?
Endet als Diva die treulose Kunst
Oder als alte Schlampe?

Was fühlt sich echt an? Ein nacktes Gedicht?
Gelten oder Gelingen?
Oder genügt es, einfach und schlicht
Unter der Dusche zu singen?

Was hat Bestand ohne heiligen Schein,
Aufrichtig und pulsierend?
Träume der Kinder, die waren einst mein,
Dann lebe ich eben ihre.

Der Regenbogen

Von dem Regen getauft, von der Sonne bekehrt,
Fasziniert von dem leuchtenden Ehering,
Ich mutiere zu unaufgeklärt
Und zur Regenbogenanbeterin.

Ich verbeuge mich tief, ignoriere die Not
Meines überempfindlichen Ischias‘,
Vor dem siebenfarbigen Gott
Der australischen Aborigines.

Wie das Leben – ein kurzes Entzücken des Lichts
Ohne sichtbar erkennbarer Absichten:
Weder Anfang noch Ende, empor aus dem Nichts
Steigt der Bote der himmlischen Nachrichten.

Diese lauten: Es lebe die Illusion!
Auch die Schönheit ist ein Provisorium:
Eine schöpferische Vision
Ohne Anspruch auf Moratorium.

Die Vergänglichkeit fordert von uns ihren Preis,
Das Erwachen aus geistigen Ohnmachten.
Auf der Erde schließt sich der Kreis,
Wenn wir ihn aus der Höhe beobachten.

Konformist

Der neue Tag verhält sich wie ein Klon
Und fühlt sich an, als ob umsonst gegeben,
Wie eine abgespeckte Version
Von einem sinn- und werterfüllten Leben.

Es fehlt mir nichts. Vielleicht ist das der Grund
Für dieses mühsam-öde Zeitvertreiben.
Der träge Körper wie ein alter Hund
Wird ungeschickt, darf nur aus Gnade bleiben.

Der müde Geist begreift die Relevanz
Der ewigen Erneuerungsgesetze
Und bettelt nicht um Gunst und Toleranz
In einer Welt der digitalen Netze,
Der Kindle-Bücher, Notebooks und iPhones,
Der Fernsehshows und sterbenden Theater,
Der Amokläufer in Gestalt der Clowns,
Fanatiker und deren Attentate.

Ein Konformist, untätig und beschämt,
Unfähig einen Wandel anzustreben,
Ich fühle mich mitunter ziemlich fremd
In meinem angepassten schönen Leben.

Hast du versucht, den Schmetterling zu küssen?

Wenn Petrus weise wäre, was ich glaube,
So würde er vielleicht am Himmelstor
Den Neuling fragen: Was führt dich nach oben?
Was hast du in dem Siebten Himmel vor?

Womöglich hätte er im Fragebogen
Erfasst den sozusagen letzten Stand,
Nicht ob man klaute, fluchte und gelogen,
denn uns’re Schwächen sind auch da bekannt.

Die wichtigeren Fragen: Warst du glücklich?
Mit wem vertraut-verbunden und wie lang?
Und hast du deinen Jugendtraum verwirklicht?
Wie oft verpasst den Sonnenuntergang?

Wie viele Länder oder Kontinente
Hast du mit einem Rucksack überquert?
Genossen die verzauberten Momente,
Die deine Schicksalsfee dir gewährt?

Hast du gelernt dem Notenklang zu lauschen?
Die Schweigsamkeit des Weiseren geschätzt?
Und welche Düfte konnten dich berauschen?
Wann hattest du perfekten Sex zuletzt?

Hast du versucht, den Schmetterling zu küssen?
Warst du leichtfüßig wie ein Vagabund?
Und überzeugt, was Dummes tun zu müssen
Aus einem idealen guten Grund?

Und mancher, frisch verstorben, würde ohne
Verständnis abgewiesen, trotz des Leids,
Wenn eine Auferstehung sich nicht lohne,
Weil auch lebendig war er tot bereits.

Wenn Petrus weise wäre….

 

21.01.2017

Ein Missverständnis

Erzählung

Seitdem ich wusste, dass ich bald sterbe, verbesserte sich sukzessive die Qualität meines noch irdischen Daseins. In Schüben, mit Rückfällen, doch tendenziell zum Guten. Es sind so allgemein bekannte Weisheiten, wie «Genieße jeden Tag, als ob es dein letzter wäre» oder «Akzeptiere das, was du nicht ändern kannst», aber die Umsetzung ist meistens schwieriger als die Erkenntnis. Also grübelte ich die erste Zeit und war depressiv. «Warum ich? Warum so früh? Warum habe ich keine Schmerzen?» Von Genießen und Akzeptieren konnte keine Rede sein. Das Arbeiten fiel mir schwer, meine sowieso schon angeknackste Beziehung mit Ulrike ging in die Brüche und sie wollte ausziehen, sobald sie eine Wohnung fand. Den Grund für meine seelische Verfassung wollte ich ihr nicht mitteilen, um sie davon aus Mitleid und Pflichtgefühl einem Kranken gegenüber nicht abzuhalten. Ulrike ist nämlich sehr pflichtbewusst und das machte unsere Beziehung immer sehr kompliziert. Sie war ständig unterwegs, erledigte Aufträge kaum bekannter Leute und war oft müde. Für spontane Sachen und guten Sex, wie am Anfang unserer Beziehung, blieb ihr einfach keine Zeit und Energie. Ihre Vorwürfe, dass ich sie nicht genug unterstütze, weckten mein bequem schlafendes Gewissen und ich fühlte mich in ihrer Nähe als Nichtsnutz und ein schlechter Mensch.

Als ich aus dem Krankenhaus zurückkam, fragte sie nur: «Und? Alles wieder in Ordnung?» Und ich, das Verlangen ein Bisschen zu jammern oder sogar laut loszuheulen mit Mühe unterdrückt, habe nur gesagt: «Alles im Lot. Ich werd’s überleben.»

Fortsetzung: folge dem Link Das Missverständnis (1)