Die Gedanken einer Pianistin

Da sitzen sie, die Kenner und die Laien,
Bewerten, applaudieren und verzeihen
Mir kleine Fehler, falls sie welche merken,
Und wagen es, die genialen Werke
des großen Meisters und die Beichte dessen
An ihrem kläglichen Geschmack zu messen.

Wer seid ihr schon? Was wisst ihr von den Qualen
Der Schöpferkraft samt täglicher Rivalen,
Wie Zweifel und die Sehnsucht nach Entrücken,
Der Drang, in neuen Klängen auszudrücken
Das alte Streben nach Perfektion,
Die Wonne und das Leid. Wer seid ihr schon,

Ihr Kritiker und die allwissend Stolze?
Ward ihr mit seinem Tagestraum verschmolzen?
Habt ihr versucht die Seele auszurenken
Bis zu dem Schmerz in müden Handgelenken,
Am Trugbild hängend wie an einem Tropf?
In aller Ehrfurcht senke ich den Kopf,

Erlaube mir kein Urteil, nur Verständnis
Für Nacktheit der Gefühle, für Geständnis
Der menschlichen Verletzlichkeit, für Sieg
Und Scheitern und für das Gelingen
Der einzig wahren Liebe zur Musik,
Die nur für Eingeweihte sollte klingen.

Eintrag im Buch des Lebens

Wenn Gott ein Buch des Lebens führen sollte,
Was stünde dann in diesem über mich
Nach Abzug aller Zweifel und Revolten
Als aktuelles Fazit unterm Strich?

War pflichtbewusst und forsch in kleinen Dingen,
In Herzensangelegenheit kein As.
Sie konnte tanzen, mittelmäßig singen
Und schrieb Gedichte, die fast keiner las.

Es wäre schön, wenn auf der Seite stünde,
Für Petrus sichtbar auf den ersten Blick,
Zum Ausgleich meiner Schwächen und der Sünden:
Sie liebte Mozarts ewige Musik.

Radio

Ich bin ein Radio. Ich sende dir Signale.
Vielleicht sind meine Wellen doch zu kurz?
Sogar Delfine, Haie oder Wale
Kommunizieren besser, sonsten würd’s
Bei dir schon klingeln und bereits geschehen –
Dein Auferstehen aus dem Kälteschock.
Hast du noch nie ein Radio gesehen
Mit Dekolleté, in einem kurzen Rock?

Freundschaft Plus

Man nennt es heutzutage Freundschaft Plus,
Wobei das „Plus“ funktioniert am besten.
Mit Candle-Light-Romantik ist jetzt Schluss
Die One-Night-Stands und Ehen waren gestern.

Wozu die ganze Mühe und der Stress:
Den Partner um den kleinen Finger wickeln,
Umwerben, daten? Heute macht man es
Mit dem Gemüt der willigen Karnickel,

Pragmatisch, frei und seelisch unversehrt –
Man ist ja bei dem Freund in guten Händen!
Das Weiblein muss nicht mittags an den Herd,
Das Männlein bügelt selber seine Hemden.

Zusammen frühstücken – ist eben nicht mehr in,
Man schläft gesünder in getrennten Betten.
Du wolltest mehr? Was für ein dummer Spleen!
Beziehungsfähig? Bis du noch zu retten?!

Und ganz, ganz wichtig – Kuscheln ist Tabu!
Wer Wärme will, im Coolsein unzulänglich,
Der fliege zu den Stränden Malibu,
Obwohl auch die für Fußvolk unzugänglich.

Ein Herbstgedicht

Wenn die Kraniche oben im Himmel
Schreiben wieder ein liegendes Vau
Und der Tage gefährlicher Schimmel
Färbt den Herbst und die Seele grau,
Lebt´s sich leiser, vielleicht auch bewusster,
Neue Weisheiten formen den Satz,
Die Gewinne und die Verluste
Finden endlich den richtigen Platz.
Klarer Kopf fordert fassbare Regeln:
Grund und Folge – ein altes Gesetz.
Melancholischer herbstlicher Regen
Spinnt aus meinen Gedanken ein Netz.

Eine Geschichte über Menschen und ihre Nachfolger

Im dreiundzwanzigsten Jahrhundert,
Die Kinderkrankheiten verwunden,
Herrscht nun die holde Exzellenz –
Die künstliche Intelligenz.

Der Menschen überholte Rasse
Erklärte sie zur grauen Masse,
Der Umwelt nicht äquivalent
Und nicht genug intelligent.

Der Mensch entsteht auf Wohlgeraten
Durch einen „Zufallsgenerator“.
Das macht ihn spannend, aber auch
Anfällig für das schwere Joch

Der Krankheiten und Schicksalsschläge.
Die neuen Wesen fanden Wege:
Bekämpften jeglichen Defekt
Und sind nun endlich fast perfekt.

Geformt aus Chips und Kollagenen,
Aus menschlichen (nur guten) Genen
Und übermenschlichem Verstand,
Ein Bio-Android entstand!

Die Erde blüht in allen Ecken,
Erholt sich langsam von dem Schrecken,
Den ihr die Menschen eingejagt,
Die, ihrerseits, seit je geplagt

Vom Leben, voller Not und Zweifel,
Beginnen langsam zu begreifen
Den dubiosen Status Quo:
Nur im Theater und im Zoo

Gibt’s sie, dank artgerechter Haltung.
Sie sorgen für die Unterhaltung
Als Maler, Dichter so auch wie
Auf dem Gebiet Philosophie.

Hier sind die Menschen doch robuster,
Mit ihrem ärmlichen Bewusstsein.
Das haben Bios schnell erkannt,
Als ihre Platten durchgebrannt

Beim Suchen, übrigens vergebens,
Nach evidentem Sinn des Lebens,
Nach Universums auf und ab
Und ob es einen Schöpfer gab.

Bei dem Versuch zu komponieren,
Mussten sie auch kapitulieren.
Die elektronische Musik
War zwar harmonisch und geschickt,

Doch fehlte ihr die alte Schwermut,
Der Traurigkeit ersehnter Wermut
Beziehungsweise Heiterkeit
Und leichte Unvollkommenheit.

So schreiben Menschen Liebesverse
Und spinnen über´s Universum.
Ein bisschen Sex, ein wenig Sport
Den Biorobotern zum Spott.

Sie leben friedlich in Revieren,
Wie seinerzeit im Zoo die Tiere,
Und haben alles: Kost und Haus
Und sterben leider langsam aus.

Die Bios kommen sie besuchen,
Zum Glotzen oder Untersuchen.
Und eines Tages kommt vorbei
Ein Klon mit seinem Söhnchen Kai

Und spricht: „Da sitzen unsre Väter,
Kaduker Spezies Vertreter.
So kann es kommen, lieber Sohn,
Für überholte Version.

Sie hassten sich und führten Kriege,
Den Hals voll konnten sie nicht kriegen.
Die Jungs, die ihrer Zeit voraus,
Verbrannten sie und lachten aus.

Die meisten aßen tote Tiere
Und waren schwächer als die Viren,
Missbrauchten Drogen, Alkohol
Und wurden bald im Speicher hohl.

Sie lernten langsam, durch Nachahmen.
Es gab auch keine Hologramme,
Und keine Mikrochips im Kopf,
Und zum Resetten keinen Knopf.

Sie hielten sich für schlaue Köpfe
Und für die Krönung aller Schöpfung,
Doch wählte einen andren Ton
Die weise Evolution.

Dreihunderttausend lange Jahre
Auf dieser Welt und doch, o Jammer,
So wie man’s sieht, nicht weit gebracht!
Nun, elektronisch überwacht,

Verbringen ihre Freizeit viele
Mit einfachen Computerspielen,
Die Andern lesen immerhin
Und vegetieren vor sich hin.“

Das schlaue Kerlchen kommt ins Staunen,
Betrachtet Männer und die Frauen,
Ein kleines Mädchen spielt im Sand
Mit einer Schaufel in der Hand.

Der aufgeweckte Bios-Knabe
Sagt zu dem Vater: „Kann ich haben
Das, mit dem niedlichen Gesicht,
Für meinen Biounterricht?

Wie sieht wohl aus so’n Ding von innen?
Impulse, Leitungen und Sinne,
Und ob es einen Pimmel hat
Erfasse ich im Referat.“

Der Bios-Papa, alter Schwede, –
Versucht es Kaichen auszureden:
„Wir fragen erstmal deine Mam.
Viel besser ist ein Hologramm.

Man darf das Faktum nicht vergessen,
Die Menschenkinder sind verfressen,
Brutal, verzogen und gemein,
Die Kleineren nicht stubenrein.“

Auch Bios-Kids sind manchmal biestig
Uns lassen sich nicht überlisten.
Der Zukunftsstreber dreht am Rad
Und schnappt die Kleine rabiat.

Das Mädchen schreit. Ich werde wach.
An meiner Seite liegt und schnarcht
Mein Homo sapiens geliebter;
In ihrem Bettchen wohlbehütet
Schläft meine Tochter, süß und klein,
Und ja, sie ist nicht stubenrein.
Mein Engel mit den Kulleraugen,
Mal frech und manchmal ungezogen.
Sie lässt und macht, was ihr gefällt
Und doch das Liebste auf der Welt.

Soll dieses Wunder mal verschwinden,
Bevor wir, Menschen, überwinden
Die Machbesessenheit und Gier?
Seit eh und je besitzen wir
Die großen und die kleinen Schwächen,
Die Sucht nach Leben und die Frechheit,
Spontanität und Freiheitssinn –
Was die Maschinen niemals sind,
Und zwar, das ungebeugte Wesen
Allein im kalten Universum,
So klein und manchmal kurios,
In seinen Träumen kühn und groß,
Versiert und weit vorangekommen,
Und doch so tragisch-unvollkommen,
Was ohne oder mit Bedacht
Den Menschen zu dem Menschen macht.

Ich grüble, starrend in die Decke,
Mein Laptop brummelt in der Ecke,
Klingt nicht bedrohlich (oder doch?)
Und fährt unaufgefordert hoch.

Er führt bereits sein Eigenleben.
Intelligentes Bürschchen eben,
Mit seinem künstlichen Verstand
Und immer auf dem neusten Stand.

Gibt es mir einen Grund zur Skepsis?
Ich frage morgen die Alexa.

Männer und Kleider

Die Männer dienen einem guten Zweck,
Vorausgesetzt sie sind in uns verschossen.
Dann holt man sie nach Hause und … o Schreck! –
Die passen nicht und Umtausch ausgeschlossen!

Wie mit den Kleidern. Im Geschäft entzückt,
Nimmt man sie mit, nach zweiundzwanzig Proben,
Dann hängt das teure heißbegehrte Stück
Fast ungetragen in der Garderobe.

Doch sind die Guten wenigstens bequem
(Ich meine Kleider), trägt man sie zu Hause.
Im schlimmsten Fall, man schenkt sie irgendwem,
Der ohnehin ein Modewelt-Banause.

Und ist man einmal wieder unterwegs,
So will man unbedingt ‚was Neues holen
Erstaunlich, doch wir machen unentwegt
Die gleichen Fehler und verschwenden Kohle.

Und manchmal ist es eine Rarität,
Ob Mann, ob Kleid, was Passendes zu finden.
Favorisiert man Stil und Qualität,
So sollte man die Kaufsucht überwinden.

Ich nähe meine schönen Kleider selbst
Und stricke bunte Schals und schicke Jacken.
Und wenn es wieder kälter wird im Herbst,
Werd‘ ich mir einen Mann zum Kuscheln … backen.

Das Begräbnis der Liebe

Untertänig dem ewigen Streben nach Glück,
Gutem Wetter und der Etikette
Und zum krönenden Schluss deinem gnädigen Blick
Und der beißenden Zigarette,
War ich wehrlos, gebunden und konnte nicht weg,
Habe dir aus der Hand gefressen
Und verlor mit der Zeit aus den Augen den Weg,
Du an Ängstlicher das Interesse.

Diese ständig im Inneren nagende Sucht
War wohl doch für die Seele ätzend.
Nach dem Sinnlich, Lebendig, Verletzlich, Verrucht
Kamen Kalt, Distanziert und Verletzend.

Das Begräbnis der Liebe war feierlich-arg.
Es gab viele geladene Gäste.
Die verbitterte Freiheit entschlüpfte dem Sarg
Und ich folgte der lockenden Geste.

Ein Gedicht

Die Blätter flüstern ein Gedicht.
Ob es gehört wird, plagt sie nicht.
Kein Streben nach Perfektion,
Nach neuen Mitteln, Stil und Ton,
Ob es schon Ähnliches gewesen,
Gemäß dem flatterhaften Wesen
Interessiert die Bunten nicht.
Und trotzdem ist es ein Gedicht,
Melodisch, traurig, klar für alle.
Bevor sie auf die Erde fallen,
Wird uns von weisem Herbst erzählt,
Dass nur das Jetzt im Leben zählt.

Die Genießerin

Der Tag beginnt mit Schokotrüffeln,
Mit Kaffee und mit Zigarette
Ich war noch nie ein Morgenmuffel,
Auch wenn ich viele Gründe hätte.
Was braucht ein Mensch? Den blauen Himmel,
Sein täglich Brot, ein paar Gelüste.
Ich fühl‘ mich wohl in dem Gewimmel
Der optimistischen Narzissten.
Für Miesepeter oder Spießer
Bin ich mir wirklich viel zu schade.
Was braucht ein fröhlicher Genießer? –
Ein bisschen Glück und … Schokolade.