Die Wellen

Die Wellen, endlich angekommen,
Zerbrachen an den schwarzen Steinen
Und fingen bitter an zu weinen,
Die schlausten fragten sich beklommen:

„Ist es denn wirklich schon gewesen?
So enden Träume, die uns riefen,
Die Sehnsucht, das verspielte Wesen,
Der Mut, die Klarheit und die Tiefe?“

Der Wellengott befahl den Hohlen,
Das laute Jammern sein zu lassen.
Er tönte: „Wasser wird zu Wasser
Für eine neue Wiederholung.“

Ein schlechter Trost für das Bewusstsein
In seiner so geliebten Hülle
Intelligenter Moleküle,
Ganz ausgeschaltet sein zu müssen.

So manche machten große Welle,
Bevor das Leben sie verbrauchte.
Zerfall – ist keine Bagatelle,
Auch für buddhistisch Angehauchte.

Ein Morgen auf Teneriffa

Der Berg, verschnörkelt wie ein Schrein,
Befreit um sieben Uhr die Sonne.
Umgeben mit dem hellen Schein,
Erstrahlt die heilige Madonna.

Kein Lobgesang, kein “Och“ und „Ach“,
Kein Sonnengruß von einem Yogi.
Touristen werden langsam wach:
Sie trinken Kaffee, manche joggen,

Die Alten frühstücken um acht,
Begrüßen sich mit kalten Mienen.
Und keiner merkt: Es ist vollbracht!
Auch Wunder werden zu Routine.

Um zehn empfängt der Ozean
Die ersten Surfer mit Getöse
Und spült die Kühnen trotzig an
Den schwarzen Strand wie leere Dosen.

Im „de Paris“

In einem Strandhaus de Paris,
Bekannt als Rentnerparadies,
Ist heute Abend Life Musik.
Die Alten, nach dem neuen Glück
Noch lechzend, kommen oft hier her –
Des 20. Jahrhundert Flair
Bezaubert sie. Schon sind vergessen
Die Gicht, das schlecht verdaute Essen,
Das Rheuma und der Alltagsschrott.
Hier ist Musik der liebe Gott.
Sie lässt die Faltenröcke fliegen,
Die Kavaliere mit den Fliegen
Auf weißen Hemden sind galant.
Sie reichen Damen ihre Hand,
Und, siehe da, es gibt noch Orte,
An denen offline wird geflirtet!

Der Foxtrott schwingt gekonnt das Bein.
Ich stehe abseits und allein
Und fühle mich so eigenartig:
Zu jung für diese Rentnerpartie,
Zu alt für eine Diskothek –
Das wäre doch ein bisschen schräg.
Mein Alter macht mir doch zu schaffen.
Dann eben nicht. Dann geh‘ ich schlafen!
In 20 Jahren komm‘ ich her.
Kein falscher Stolz und keine mehr
Komplexe, Hoffnungen und Schanzen.
Die flotte Oma will nur tanzen!

Wunschlos

Mir ist der Sinn des Lebens ausgegangen.
So geht das Licht aus ohne Energie.
Begeisterung, Neugierde und Verlangen –
Die altbewerte Daseinsstrategie
Der Selbstbetörung – sind nicht mehr vorhanden,
Der Geist befreit sich von der schweren Last
Des ewigen unproduktiven Denkens
Und statt sich mit Gefühlen auszurenken,
Genehmigt sich die Seele einen Rast.
Der Körper schläft wie eine satte Katze,
Die Wünsche weichen einer Amnesie.
Sarkastisch spricht des Spiegels freche Fratze:
„Na, müder Mensch, was bist du ohne sie?“

Ohne Garantie

Man kriegt ein Leben ohne Garantie
Und ohne halbwegs brauchbare Anweisung.
Wie die Pralinen Marke Assorti
Schmeckt es mal süß und bitter stellenweise.

Dass es so unbemerkbar schnell vergeht,
Vergaß der liebe Gott uns mitzuteilen
Und lieferte auch kein Ersatzpacket
Für alle abgenutzten Körperteile.

Und jeder Tag entpuppt sich als Beweis
Der ausgeschöpften Energiereserven,
Als harter Test für ausgepeitschte Nerven
Und sterblicher Materie Verschleiß!

Was für ein Sch..ß!

 

Se la vi

Eine Fabel

Es lebte einst in einem Land
Ein schlecht bezahlter Musikant,
Der jeden Abend sich verkroch
Unsichtbar im Orchesterloch
Und dachte traurig: Irgendwann
Bin ich berühmt und reich. Und dann
Werd‘ ich mein Können zeigen,
Als Star und erste Geige.

Die Zeit verging: kein Ruhm, kein Geld,
Da oben tobte eine Welt,
Er saß noch immer düster
Unter dem großen Lüster.
Und dachte traurig: Irgendwann
Fällt dieses Ding, dann bin ich dran.
Wozu die Firlefanzen
Mit Mühen und Allianzen?

Und hatte recht, denn, se la vi.
Sind wir nicht alle irgendwie
Geplagt von diesem Lüster,
Nur weniger bewusster?

Fünf Säulen

Liebe, Familie, Freunde, Job, Kreativität –
Quelle des Leids und der Freude steckt in diesem Quintett,
Die bedeutendsten Säulen meiner inneren Welt,
Sie zerbröckelt nicht neulich, wenn die eine nicht hält.
Therapeuten der Seele tragen Spuren der Zeit:
Liebe stirbt, Freunde fehlen, Zweifel machen sich breit.
Götzen liegen in Schreinen, abgenutzt und befleckt.
Lass‘ mir wenigsten einen, himmlischer Architekt.

Eine Träumerin

„Der beste Freund von Marx, Genosse Engels,
War lebenslang sein Gönner und sein Fan.
Ach, hätt‘ ich einen mächtigen Mäzen
Als Schutzpatron beziehungsweise –engel,
So würde ich, wie viele Prominente
Nur schöne Dinge machen, lebenslang,
Und zwischendurch im edlen Müßiggang
Der Seele melancholische Momente
Genießen: malen, schreiben, reisen,
Der schuftenden Bevölkerung zum Neid
Und jeden Tag in einem neuen Kleid
Im Restaurant Delikatessen speisen.“

Im Altenheim, auf Badewannenkante,
Die sie gerade blitzeblank gemacht.
Aus ihren Tagesträumen aufgewacht
Saß eine kreative Immigrantin
Und hasste Marx, der ehrlich uns beschrieben
Des Kapitals Engherzigkeit und Last.

„Ach, hätt ich in der Schule aufgepasst,
So wäre ich wahrscheinlich heim geblieben!“

Die Zeit

Der einzig‘ Gott auf Erden ist die Zeit.
Sie ist allmächtig, fair und manchmal gnädig,
Und unbestechlich wie die Ewigkeit,
Wenn sie das Unvermeidliche erledigt.

Sie ist die Zukunft und die Gegenwart.
Ich spüre ihre göttlichen Impulse
Im sturen Wechsel der Gezeitenart
Sowie im Rhythmus meines schwachen Pulses.

Auf ihre Urteilsgabe ist Verlass,
Denn Gottes Wege sind nicht unsre Wege.
Vergänglich sind die Liebe, Lust und Hass,
Beständig nur das Streben nach Bewegung.

Wir wissen nun: Die Sicht ist relativ
Aus einer eingeschränkten Perspektive.
Es kommt drauf an, wie hoch ist das Stativ
Und klar die Linse deines Objektives.

Die Zeit und die Schönheit

Am schönsten sind die Dinge die verblassen,
Verloren gehen oder aus der Sicht
Verschwinden, einen Eindruck hinterlassend,
Sie waren wichtig wie das Augenlicht.

Für alles, was wir einst bewundert haben,
Errichten wir andächtig ein Altar.
Die Zeit verzichtet auf die Opfergaben,
Der unbestechlich weise Avatar.